Das Herz rast. Alles dreht und wankt ein wenig. Ich kann noch stehen, auch wenn sich alles etwas wackelig anfühlt. Der Blick ist verschwommen und das T-Shirt klebt schon vor Schweiß an meinem Körper. Die Erschöpfung erreicht mich langsam, aber sicher. Der Strohhalm findet seinen Weg nur schwerlich in das Trinkpäckchen, der erste Schluck und der Gedanke: Gleich wird es besser. Gleich geht es wieder weiter.
Wahrscheinlich wissen jetzt schon einige, welchen Zustand ich gerade aus meiner Sicht beschrieben habe. Eine Hypoglykämie.
Die körperliche Grenzerfahrung
Ich finde, es ist sehr schwer, einem Außenstehenden eine „Hypo“ zu erklären. Ein Versuch von mir ist meist das Marathon-Beispiel: „Es fühlt sich an, als wärst du gerade einen Marathon gelaufen, du bist total erschöpft, merkst, dass du an deine Grenzen gekommen bist. Aber da ist etwas, was dich weiter antreibt und dich zwingt, über deine körperlichen Grenzen zu gehen. Weiterzulaufen und zu laufen und zu laufen.“ Aber ich denke, dass dies nicht im Ansatz diesen Zustand beschreiben kann. Machen wir uns nichts vor, es ist anstrengend und auch nervig.
Doch es gibt noch eine Grenze, die bei der „Hypo“ übertreten wird, zumindest aus meiner Erfahrung heraus.
Die Psyche während einer „Hypo“
Es gibt hierzu zwei Situationen, die sich in meine Erinnerung und mein Leben eingebrannt haben.
Ich war damals 16 Jahre alt und unterzuckerte in der Schule, bis dahin keine allzu besondere Situation. Jedoch war meine psychische Verfassung alles andere als stabil. Ich wusste noch nicht, wer ich bin. Mir war nur bewusst, dass es so, wie es ist, nicht richtig sein kann. Das, was dann passierte, weiß ich nur aus Erzählungen von den Menschen, die mir halfen. Ich selbst habe zu diesem Ereignis keinerlei Erinnerungen, sondern eher ein verschwommenes Nichts, ich würde es als Blackout beschreiben. Ich rannte anscheinend unterzuckert durch das ganze Schulgebäude und schrie herum, dass ich nun Sport machen müsste und der Traubenzucker viel zu viele Kalorien hätte. Daraufhin wurde ich von mehreren Mitschülern zu Boden gedrückt und man versuchte, mir den besagten Traubenzucker zu verabreichen, ich spuckte ihn aus, teilweise sogar den Helfern entgegen.
Dies alles wurde mir erzählt, als ich im Krankenzimmer meiner Schule wieder aufwachte. Das alles zu hören, war für mich ein riesiger Schock. Es vermischte sich in mir das Gefühl von Scham und Furcht vor mir selber. Es dauerte einige Zeit, bis ich dieses Erlebnis therapeutisch verarbeiten konnte. Ich musste verstehen, dass meine Psyche einer „Hypo“ genauso wenig standhalten kann wie mein Körper.
Diabulimie und Hypoglykämie
Die zweite Situation ist wiederkehrend und wird mich wahrscheinlich auch nie wieder verlassen.
Durch meine Diabulimie fiel ich, sozusagen als Endergebnis, in eine schwere Ketoazidose. Ich wurde auf dem Weg ins Krankenhaus bewusstlos und musste auch wiederbelebt werden, das verlief jedoch ohne großen Erfolg. Die Ärzte hatten mich eigentlich schon aufgegeben, meine Mutter forderte einen weiteren Versuch, der mich dann zum Glück zurückholte.
Ich habe keine Bilder von diesen Momenten in meinem Kopf, ich habe mich nicht von oben beobachten können, aber doch ist etwas von diesem Erlebnis geblieben.
Jedes einzelne Mal, wenn mich eine „Hypo“ überrennt, spüre ich die Gefühle, die in mir aufsteigen und die ich durchaus kenne.
Nach einer „Hypo“ fühlt man sich körperlich schwach. Doch ich fühle mich auch seelisch schwach.
Jede „Hypo“ bedeutet für mich eine Art Flashback. Es kommt das Gefühl zurück, dass nun alles vorbei ist. Dass ich genau jetzt sterben werde. Die Panik, die sich dabei breitmacht, ist unangenehm, aber ich kenne sie.
Ich habe gelernt, damit umzugehen, dieses Gefühl zu akzeptieren und dem Platz und Raum zu geben. Mir selbst Zeit zu geben, mich zu regenerieren von den körperlichen, aber auch von den seelischen Nachwirkungen.
Dieser Weg war aber nicht immer leicht. Alleine, zu erkennen, was da mit mir passiert, hat mich einige Therapiestunden gekostet. Es zu akzeptieren und der Psyche ihren Platz zu geben, war dann die Kür.
Wie geht es eurer Psyche damit?
Ich kann mir gut vorstellen, dass der ein oder andere diese oder ähnliche Gefühle kennt. Dass man sich überrollt fühlt. Dass viel zu viel auf einmal kommt und man nicht weiß, wohin mit sich selber. Dass neben dem Körper auch die Seele während einer „Hypo“ ihren Platz sucht. Aber das ist vollkommen in Ordnung. Jeder ist anders, fühlt anders und keiner sollte sich für seine vermeintlichen Schwächen schämen. Genau so ist es vollkommen in Ordnung, sich Hilfe zu holen. Ich bin sehr glücklich, dass es mir möglich war, eine Psychotherapie zu machen, und stolz, wie weit es mich gebracht hat.
Passt auf euch auf. Ihr seid einzigartig.